Wie schulfähig macht der Waldkindergarten?
Eine Studie von Peter Häfner
Prinzipiell lassen sich die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung in der abschließenden Abbildung darstellen. Auffällig ist, dass sich die beiden Gruppen am stärksten bezüglich der ersten drei Faktoren unterscheiden. Die Bereiche „Motivation – Ausdauer – Konzentration“, „Sozialverhalten“ und „Mitarbeit im Unterricht“ scheinen demnach diejenigen Bereiche widerzuspiegeln, bei denen die Kinder aus Waldkindergärten den anderen Kindern gegenüber einen deutlichen Vorteil besitzen. Das lässt die Aussage zu, dass Kinder aus Waldkindergärten im ersten Schuljahr nicht nur ein besseres Sozialverhalten an den Tag legen, sondern auch in bezug auf ihre Motivation in der Schule, ihre Ausdauer und ihr Durchhaltevermögen sowie hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Konzentration von den Lehrkräften besser beurteilt werden. Anhand der Resultate kann im Hinblick auf eine optimale Förderung der Kinder im Elementarbereich zunächst eine dezidierte Empfehlung für einen Aufenthalt in einem Waldkindergarten gegeben werden. Darüber hinaus könnte man auch einer differenzierten Betrachtungsweise folgen, nach der nicht unbedingt eine der beiden Untersuchungsgruppen als „Gesamt-Siegerin“ angesehen werden muss, sondern nach der die jeweiligen Vorzüge und Nachteile von Rege- und Waldkindergarten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Aus den Ergebnissen
Waldkindergartenkinder fügen sich im Durchschnitt leichter in eine Gruppe ein, sind rücksichtsvoller gegenüber anderen Kindern, lösen auftretende Konflikte friedlicher und zeigen weniger aggressives Verhalten. Ferner sind die Kinder untereinander während ihres Aufenthaltes im Wald viel mehr auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Dies wirkt sich natürlich positiv auf die Kooperations- und Teamfähigkeit der Kinder aus. Sicherlich sind solche positiven Verhaltensweisen nicht zuletzt auf den sehr guten Personalschlüssel in einem Waldkindergarten zurückzuführen. So hat durchschnittlich jede einzelne Betreuungsperson definitiv mehr Zeit für ein Kind. Daneben trägt der Verzicht auf „standardisiertes“ Spielzeug in allen Waldkindergärten dazu bei, dass die Kinder mehr auf verbaler Ebene miteinander kommunizieren müssen. Das wiederum fördert nicht nur eine vielschichtige Ausdrucksweise, sondern hat auch positive Auswirkungen auf das Verhalten im Umgang mit den anderen Kindern der Gruppe. Dagegen zeigen die Ergebnisse der Untersuchung aber auch, dass Waldkindergartenkinder bezüglich der Feinmotorik gewisse Defizite aufweisen. Ihre Finger- und Handgeschicklichkeit ist deutlich schlechter als bei Kindern aus Regelkindergärten. Bei der Unterscheidung von Farben, Formen und Größen schneiden Waldkindergartenkinder ebenfalls schlechter ab. Grundsätzlich sollte im Waldkindergarten in den gerade genannten Bereichen eine verstärkte Unterstützung stattfinden. Dies könnte in eigens für zukünftige Schulkinder stattfindenden Differenzierungsstunden geschehen.
Das Besondere
Im Waldkindergarten stehen verstärkt reformpädagogisch Grundzüge wie die Förderung der Eigenverantwortlichkeit, ganzheitliches und entdeckendes Lernen, die Umwelterziehung und das Lernen aus praktischer und sozialer Anschauung im Vordergrund. Dies sind hochgelobte Eigenschaften, deren Förderung in der breiten Schullandschaft seit Beginn der reformpädagogischen Bewegung Anfang des letzten Jahrhunderts immer noch auf sich warten lässt. Eines jedoch sollte auf jeden Fall klar gesehen werden: Je mehr sich die Schule in Richtung der Förderung von Verantwortlichkeit, Eigenständigkeit und Individualität unserer Kinder entwickeln muss, desto höher ist auch der Stellenwert, der den Waldkindergärten im Hinblick auf die vor schulische Vorbereitung unserer Kinder beizumessen ist.
Wenn ich die Ergebnisse meiner Untersuchung zusammenfasse, so kann ich feststellen, dass die Kinder, die einen Waldkindergarten besucht haben, eine hoffnungsvolle Schülergruppe darstellen. Im Schnitt verfügen sie über eine eloquente Ausdrucksweise und zeichnen sich beispielweise auch im musischen Bereich durch hohe Leistungsfähigkeit aus. Sowohl hinsichtlich Fantasie und Kreativität als auch der Mitarbeit im Unterricht, dem sozialen Verhalten und ihrer Motivation bringen sie gute schulische Voraussetzungen mit.
Resümee
Das Aufwachsen der Kinder in der heutigen Zeit ist mit dem Aufwachsen ihrer Elterngeneration kaum noch zu vergleichen. Die Kinder werden zunehmend vom Außenraum als offenem Spiel- und Erlebnisort verdrängt; Sie ziehen sich zum Spielen überwiegend in geschlossene Räume, sprich in Wohnungen zurück. Hier bietet der Waldkindergarten optimale Bedingungen, Raum für Kinder zur Verfügung zu stellen. Im Zuge der sich wandelnden Arbeits- und Lebensbedingungen und der daraus folgenden Zunahme einer Berufstätigkeit beider Elternteile wird sich in Zukunft aber eher die „integrierte“ Form des Waldkindergartens durchsetzen, bei der eine ganztätige Kinderbetreuung gewährleistet wird. Diese Form eines Kindergartens ist meiner Ansicht optimal für den Fall, dass man von beiden hier untersuchten Arten von Kindergärten jeweils das „Beste“ miteinander kombinieren kann. Der Waldkindergarten liefert etwa vormittags die Freiräume, die Kinder in diesem Alter für eine natürliche und gesunde Entwicklung benötigen, der Regelkindergarten liefert dann am Nachmittag das erweiterte Angebot zum Erwerb kulturgebundener Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Dr. phil. Peter Häfner ist Diplom-Pädagoge und Lehrer und hat zum Thema „Waldkindergarten und Schulfähigkeit von Kindern“ an der Universität Heidelberg promoviert.
Quelle:
Kindergarten heute / Zeitschrift für Erziehung Heft 4/2003
Zeitschrift Psychologie heute
Weitere Infos und die komplette Doktorarbeit unter:
http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/3135